Mein Kino-Monat – August 2023

Die Letzte Fahrt Der Demeter (OT: The Last Voyage Of The Demeter)

© Universal Pictures

Als der Regiename bei Inaugenscheinnahme des Trailers von „Die Letzte Fahrt Der Demeter“ auf der Leinwand erschien, läuteten sofort sämtliche Alarmglocken, denn „Scary Stories To Tell In The Dark“, das Vorgängerwerk des norwegischen Landsmanns André Øvredal von 2019, grenzte in vielen Belangen an eine physische Zumutung und stellte den maßgeblichen Grund dar, in den folgenden dreieinhalb Jahren „Sneak Previews“ zu meiden wie der Teufel das Weihwasser. Seine jüngst veröffentlichte Dracula-Neuverfilmung bewegt sich jedoch qualitativ Welten davon entfernt und hebt sich vor allem durch eines von dem Wust an Spartenvertretern ab: Atmosphäre. Ausgehend von einem Hafen am Schwarzen Meer wird kurz vor Anbruch des 20. Jahrhunderts eine mysteriöse Ladung nach London verschifft, die sich als fleischgewordener Alptraum für die Besatzung entpuppt und diese schrittweise dezimiert. Die koproduzierte Horrorproduktion basiert auf einem bis dato ignorierten Kapitel von Stokers Roman und hält viele furchteinflößende Momente für die Konsumenten bereit. Dennoch stört man sich bei genauerer Betrachtung an einigen Details: Neben der straffbaren Lauflänge passt das aufwendige Szenenbild an Bord des Schiffs, welches den Namen der Olympischen Fruchtbarkeitsgöttin trägt und größtenteils in Babelsberg entstand, nur bedingt in den Kontext der Epoche und auch die Illustration des blutrünstigen Bösewichts ist sporadisch aufgrund der Hektik einzelner Szenen ausbaufähig geraten, obwohl man durch die Reminiszenz auf die Optik von Nosferatu erfreulicherweise zu den Ursprüngen der Figur zurückkehrte. Wenngleich mit Ausnahme zweier Herren kein Ensemblemitglied größere Bekanntheit besitzt, agieren allesamt für Genremaßstäbe souverän, während zwei Szenen sich ähnlich ins Gedächtnis einbrennen wie das Sonnenlicht in die Haut des transsilvanischen Höllengrafen. Zwar ist den beiden Filmen außer der literarischen Basis wenig gemeinsam, dennoch wirkt der kürzlich erschienene „Renfield“ in Summe als überzeugendere Filmschöpfung.

USA / D 2023 – 119 Minuten
Regie: André Øvredal
Genre: Horror / Thriller / Literaturverfilmung
Darsteller: Corwy Hawkins, David Dastmalchian, Liam Cunningham, Aisling Franciosi, Javier Botet, Jon Briones, Stefan Kapicic, Nicolo Pasetti, Woody Norman

Enkel Für Fortgeschrittene

© Studiocanal

Im Februar 2020, wenige Wochen bevor die erste COVID-Welle das kulturelle Leben zum Erliegen brachte, erschien „Enkel Für Anfänger“ im Kino und erhielt sowohl Kritikern als auch dem Publikum zu großen Teilen lobende Worte. Es war daher fast nur eine Zeitfrage, bis eine Fortsetzung über die Leinwand flimmern würde, in der vor allem den drei profilierten Hauptdarstellern rund um das 70. Lebensjahr, aber auch dem selbstironischen Umgang mit allgemeinen Nöten und Vorurteilen, aber auch Chancen des Seniorendaseins viel Raum zur Entfaltung zugestanden wird. Die Szenerie erfindet das Rad sicherlich in inhaltlicher Hinsicht sicherlich nicht wirklich neu und hätte um zehn Minuten gekürzt werden können, dennoch reißt vor allem das Timing und die erfrischende Dialogisierung im Hinblick auf intergenerationelle Konflikte schnell mit, während die Charaktere sich reihenweise Sympathien sichern, selbst wenn man den ersten Teil nicht kennen sollte. Zudem gelingt es Groos, der vor exakt zwei Jahrzehnten „Das Wunder Von Bern“ filmisch adaptierte, sich nicht in einem schablonenhaften Wohlfühl-Ende zu verlieren und wählt stattdessen einen unerwartete, ungeahnt zu Herzen gehende und zutiefst lebensbejahende Schlussphase. Neben Kroymann bildet vor allem Sukowa das darstellerische Highlight, doch auch den Jungschauspielern merkte man die Spielfreude in jeder Szene an. Ab dem 07. September kann „Enkel Für Fortgeschrittene“ offiziell deutschlandweit einer Sichtung unterzogen werden und eignet sich perfekt für einen vergnüglichen Abend, was wahrlich nicht auf die Mehrzahl deutschsprachiger Produktionen zutrifft.

D 2023 – 110 Minuten
Regie: Wolfgang Groos
Genre: Tragikomödie
Darsteller: Maren Kroymann, Barbara Sukowa, Heiner Lauterbach, Günther Maria Halmer, Linus von Emhofen, Ercan Durmaz, Efe Kayra Yildirim, Marie Burchard, Morten Völlger, Imogen Kogge

Joy Ride – The Trip (OT: Joy Ride)

© Lionsgate

Als einzige Asiatischstämmige in ihrer Stadt freunden sich zwei grundverschiedene Mädchen durch elterlichen Einfluss im Vorschulalter an, von denen eine später als erfolgreiche Juristin durchstartet, während die andere auch mit Anfang 30 einen unsteten Lebenswandel voller Gelegenheitsjobs fristet. Ein lukrativer Geschäftsabschluss verursacht, dass die beiden sich mit skurriler Begleitung auf eine Reise ins Reich der Mitte begeben, bei dem vieles gehörig schief geht und die schrittweise zur Erprobung einer Freundschaft und zur Suche nach den Wurzeln führt. Bei „Joy Ride“ handelt es sich um das Regiedebüt der Malaysierin Adele Lim. Unter Einbeziehung dessen ist das Ergebnis allerehrenwert und zeichnet sich vor allem durch ein Gespür für Zeitgeist aus. Insbesondere tritt zutage, wie oft die Gesellschaft zur kulturellen Pauschalisierung neigt, denn letztlich sind die ostasiatischen Staaten bezüglich Mentalität etwa so weit voneinander entfernt sind wie Island und Spanien. Wenn man davon absieht, dass das gesellschaftliche Leben in China offensichtlich deutlich positiver und toleranter dargestellt wird als es den Tatsachen entspricht, unterhält das Ganze prächtig, auch wenn zwei oder drei Gags eine Spur zu sehr auf „Hangover“-Pfaden wandeln. Aus dem Ensemble sticht vor allem die in diesem Frühjahr oscarnominierte Stephanie Hsu hervor, doch vor allem die Chemie der beiden gegensätzlichen Protagonisten bestimmt die unterhaltsame Wirkung. Somit handelt es sich bei „Joy Ride“ um eine kurzweilige, temporeiche, nicht nur an ein weibliches Publikum adressierte Komödie mit hohem Entertainment-Faktor, die lediglich in der Finalphase die genreübliche Sentimentalität nicht gänzlich zu umschiffen vermag und am besten funktioniert, wenn man sie nicht allzu ernst nimmt.

USA 2023 – 95 Minuten
Regie: Adele Lim
Genre: Komödie / Action
Darsteller: Ashley Park, Sherry Cola, Stephanie Hsu, Sabrina Wu, Ronny Chieng, Meredith Hagner, David Denman, Annie Mumolo, Timothy Simons, Daniel Dae Kim, Desmond Chiam

Mein Fabelhaftes Verbrechen (OT: Mon Crime)

© Gaumont

„Was unsere Rechte anbelangt, gelten wir vor dem Gesetz als unmündig, bezüglich unserer Verfehlungen jedoch als mündig.“ Dieser im Zuge einer Gerichtsverhandlung in einem medienwirksamen Mordprozess hervorgebrachte Satz umreißt die Basalhandlung von François Ozons inzwischen 22. (!) Regietätigkeit im Grunde genommen perfekt und wird zum Ausgangspunkt einer unerwartet gelungenen Kinosichtung im Stile bester Screwball-Komödien, die inmitten der französischen Hauptstadt der 1930er Jahre angesiedelt ist. Herrlich ironisch-scharfzüngige Wortwechsel durchziehen das Skript wie ein rotfädiges Kontinuum und stellen die Frage, inwieweit Notwehr als probate Rechtfertigung taugt und führen mit leichtfüßigem Humor vor Augen, dass solidarisch-feministische Denkweisen durchaus kein Phänomen darstellen, welches erst in den letzten Jahren abrupt vom Himmel fiel. Stylisch inszeniert, sticht vor allem das exquisite, detailreiche Kostümdesign hervor, aber auch die wohlüberlegte Farbgestaltung. Schon jahrelang hat man die Grande Dame Isabelle Huppert, die hier eine alternde Schauspieldiva mimt, nicht mehr so hemmungslos enthusiastisch und ungezügelt erleben dürfen und auch Dany Boon erweist sich als segensreicher Sidekick, während die beiden Protagonistinnen in den Rollen von Madeleine und Pauline ein Übermaß an Charme und Facettenreichtum versprühen. Entstanden ist ein überaus starker, grenzenlos unterhaltsamer Beitrag des frankophonen Kinos, in dem vor allem das seit einer gefühlten Ewigkeit nur sporadisch novellierte, europäische Justizsystem (mitunter zu Recht) Gehöriges einstecken muss und die Suche nach der wahren Täterin gleich in mehrfacher Hinsicht von cleveren Wendungen erschwert wird. Bei der Suche nach einem künftigen Kandidaten als „Bester Internationaler Film“ für 2024 sollten die Juroren unseres westlichen Nachbarlandes „Mein Fabelhaftes Verbrechen“ ohne den mindesten Zweifel in die engere Auswahl wählen.

F 2023 – 102 Minuten
Regie: François Ozon
Genre: Komödie / Kriminalfilm
Darsteller: Nadia Tereszkiewicz, Rebecca Marder, Isabelle Huppert, Fabrice Luchini, Dany Boon, André Dussollier, Édouard Sulpice, Félix Lefebvre
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