Gegensätze ziehen sich an. – Ein Blick auf „Barbenheimer“

© Warner Bros. Pictures & Universal Pictures

Nach Bekanntgabe des offiziellen Kinostarts der ersten Realverfilmung von „Barbie“, der sowohl in den USA als auch in Europa auf ein- und dasselbe Datum fiel wie das bereits etwas früher angekündigte Historienepos „Oppenheimer“, entwickelte sich „Barbenheimer“ unvermeidlich und rasch zum gehypten Phänomen in sämtlichen, sozialen Medien und sorgte für herrliche Seitenhiebe in Form von Plakaten, GIF’s und Textil-Aufdrucken. Die beiden aufwendig produzierten Werke, einer unter weiblicher, der andere unter männlicher Leitung entstanden, könnten in inhaltlicher Hinsicht wahrscheinlich nicht viel weiter voneinander entfernt sein und gerade das machte für viele Kinogänger wohl den Reiz aus, das clevere Angebot vieler Betreiber zur Doppelsichtung in Anspruch zu nehmen. Trotz des Umstandes, dass an Tag 1 nach Uraufführung noch keine verlässlichen Zahlen zu den Einspielergebnissen vorliegen, spricht die Mundpropaganda für sich, denn erstmals seit vorpandemischen Zeiten sorgte das Double-Feature für lange Schlangen an den Kassen und volle Säle. In Kombination umfassen die beiden Werke annähernd fünf volle Stunden, weswegen ich mich dazu entschied, dem Trend nicht zu folgen und stattdessen zwei Kinoabende für die jeweiligen Inaugenscheinnahmen der Produktionen aus eigenem Recht einzuplanen. Wie sich zeigte, war dies aus einer Fülle an Gründen eine weise Entscheidung.

Barbie

© Warner Bros. Pictures

Zugegeben: Die Sichtung des allerersten, eher an eine explodierende Bonbontüte auf Ecstasy erinnernden Teasers, sorgte aus subjektiver Perspektive für eines – und zwar dezenten Brechreiz. Letztlich war es neben der Wahl der seit einigen Jahren auf dem Olymp von Hollywood stehenden Hauptdarstellerin die Beschreibung der verantwortlichen Regisseurin selbst, welche die Sichtung gewissermaßen erzwang, denn sie sagte in einem Interview über ihre dritte Produktion: „Dieser Film ist für alle, die Barbie hassen, da sie im Laufe der Geschichte ein bisschen zerstört wird.“

© Warner Bros. Pictures

Mittlerweile wuchsen drei Generation mit der markenrechtlich geschützten Puppe vom koproduzierten Hersteller Mattel auf, die proportional zu 60 Prozent aus Gliedmaßen besteht, als Realvariante gar nicht lebensfähig wäre und sich in der Realverfilmung selbst passenderweise als „stereotypes Modell“ betitelt. Was als Märchen inklusive Erzählerin – im Original lieh Helen Mirren hierfür ihre markante Stimme – beginnt, spielt augenzwinkernd mit Klischees und entwickelt sich zunehmend zur temporeichen Persiflage. Spätestens ab dem Moment, in dem das Paralleluniversum namens „Barbieland“ und die reale Welt aufeinanderprallen, bestimmen Widersprüche, Sarkasmus im Hinblick auf unerreichbare Schönheitsideale und eine hohe Gagdichte die Szenerie eines Geschlechterkampfs, in der das „Anhängsel“ Ken zunehmend um Autonomie und das Heraustreten aus dem Schatten seiner Partnerin kämpft. Das Gebotene stellt durch dieses Wechselverhältnis nicht nur einen gewieften, oft intentioniert überdrehten Appell gegen Bodyshaming und Vorurteile dar, sondern auch eine Reminiszenz auf die in aller Munde befindliche Gender-Debatten. Als Vorzug kommt die optische Inszenierung hinzu, da sie ebenso artifiziell und überkitscht gestaltet wurde wie das Markenzubehör in den Kinderzimmern vieler kleiner Mädchen (und sicherlich auch einiger identitätssuchender Jungen). Ein Erhalt von Oscarnominierungen für das aufwendige Set- und Kostümdesign scheint daher bereits jetzt nahezu in Stein gemeißelt zu sein. Die Hauptrolle, um die ursprünglich auch Anne Hathaway und Amy Schumer vertraglich buhlten, erweist sich mit Margot Robbie als idealbesetzt, denn sie versteht es perfekt, das angetackerte Barbie-Lächeln in die Wirklichkeit zu übertragen und ihr Spiel lebt oft von gewolltem, aber stets charmanten Overacting. Demgegenüber besteht Ryan Gosling (mit wahrscheinlich mittels Aufsprühung nachgeholfenem Sixpack) nicht zu 100 Prozent, doch zumindest kann man ihm ein hohes Maß an Spielfreude in fast jeder Szene nicht absprechen, was auch für die durch die Netflix-Serie „Sex Education“ bekannt gewordenen Darsteller Emma Mackey und Connor Swindells zutrifft.

© Warner Bros. Pictures

Ein Manko bezieht sich auf die Schlusssequenz, doch letztlich obliegt es dem / der Zuschauer/in selbst, ob man diese nun entweder als neofeministisch oder gar reaktionär deuten möchte – analog zum Film in seiner Gesamtheit. Von den drei direkt aufeinanderfolgenden Songs im Boyband-Stil muten zumindest zwei zwar als nicht zwingend notwendig an, dennoch überwiegen die Vorteile des Zweistünders überraschenderweise bei Weitem. In Summe funktioniert Gerwigs „Barbie“-Adaption am allerbesten, wenn man sie nicht allzu ernst nimmt und möglichst uninformiert den Kinosaal betritt, um ihn schlussendlich mit mildem Lächeln zu verlassen.

CDN / USA 2023 – 114 Minuten
Regie: Greta Gerwig
Genre: Komödie / Romanze / Satire
Darsteller: Margot Robbie, Ryan Gosling, Will Ferrell, America Ferrera, Simu Liu, Kate McKinnon, Ariana Greenblatt, Alexandra Shipp, Emma Mackey, Kingsley Ben-Adir, Michael Cera, Rhea Perlman, Ncuti Gatwa, Emerald Fennell, Connor Swindells

Oppenheimer

© Universal Pictures

Rund 21 Stunden nach Ausklingen von „Barbie“ flimmerte in meinem Fall „Oppenheimer“ über die Großleinwand im Kino des Vertrauens. Die Erwartungen an Christopher Nolans mittlerweile zehnten, wieder auf eigenem Drehbuch basierenden Film über die wohl bedeutendste Zäsur des 20. Jahrhunderts und Auslöser des Kalten Krieges waren aufgrund des gänsehautfördernden Trailers immens und es ist sicherlich kein Zufall, dass die Veröffentlichung exakt am 79. Jahrestag des Stauffenberg-Attentats erfolgte.

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Selbst für Nolan’sche Verhältnisse handelt es sich bei „Oppenheimer“ um ein exorbitant langes Werk voller verästelnder Komplexität und beängstigender Aktualität, dem vor allem eines gelingt: Es fordert heraus wie kein anderes Epos seit Langem und dürfte deswegen enorm polarisieren. Beleuchtet wird nicht nur ein kurzer Abschnitt im Leben des „Vaters der Atombombe“, bevor diese im August 1945 in Hiroshima und Nagasaki zum Einsatz kam, geschätzt 170.000 Menschen unmittelbar das Leben kostete und den Zweiten Weltkrieg auch in Asien endgültig beendete, sondern in Abrissen und – mit etlichen Zeitsprüngen versehen – rund vier Dekaden. Das streng geheime Manhattan-Projekt nebst Trinity-Test in den Weiten von New Mexiko fungiert jedoch nur als inneres Handlungselement, während der Rahmen – und das überrascht angesichts der bis heute ausgebliebenen Reue sämtlicher US-Präsidenten seit Truman im Hinblick auf den unkalkulierbaren Bombenabwurf zutiefst – sich mit der juristisch-moralischen Aufarbeitung des Losgetreten in der antikommunistischen Hochphase beschäftigt, welche sich anhand der inneren Zerrissenheit und zunehmendem Hadern des Protagonisten selbst, der immer mehr zum gefallenen Helden avanciert, manifestiert. Die Gespräche mit den Nobelpreisträgern Albert Einstein und Niels Bohr generieren Schlüsselmomente und allgemein mangelt es nicht an Momenten, in denen kein stilistisches Detail ohne wirkungsästhetischen Grund gewählt wurde. Insbesondere im Hinblick auf das meisthafte Szenenbild sowie visuell und akustisch ist „Oppenheimer“ schlichtweg ein von Kontrasten lebender Triumphzug, der den Beweis antritt, dass eine 3D-Konvertierung nicht immer zwingend von Nöten ist, um das Auge zu erfreuen und zu fesseln. Zudem fügen sich die heroischen, abwechslungsreichen Klänge von Ludwig Göransson, der Hans Zimmer als Stammkomponist des Regisseurs ablöste, perfekt ein. Die langwierige Besetzung des Ensembles, von dem ein Teil wegen der hohen Fertigungskosten auf die Hälfte der Gage verzichtete, stellt einen weiteren Pluspunkt dar. Nicht weniger als zehn (!) bereits für den Oscar nominierte Personen wurden engagiert, doch nicht nur wegen der Stardichte erlebt man nur sporadisch Schauspielerriegen, die bis in die allerkleinste Nebenrolle Großartiges leisten und einem überragend agierenden Cillian Murphy in der Titelrolle des deutschstämmigen, schlaksigen, jüdischen Quantenphysikers enormen Raum zur Entfaltung bietet. Des Weiteren liefern auch Florence Pugh, Gary Oldman, Kenneth Branagh sowie Emily Blunt mit jeweils kurzen, aber goldenen Szenen darstellerische Ausrufezeichen sowie Robert Downey Jr., den man unter meisterhaftem Make-Up nur mit Mühe wiedererkennt.

© Universal Pictures

Abgesehen von einer zweifelsohne zu raumgreifenden Laufzeit und Phasen der Überfrachtung bezüglich der Untersuchung zu Nachkriegszeiten, insbesondere für jene Betrachter, die weder mit dem historischen noch wissenschaftlichen Hintergrund vertraut sind, ist „Oppenheimer“ somit nicht nur Nolans stärkster, akkuratester Film seit „Inception“, sondern übertrifft diesen in vielen Aspekten sogar, denn die Mission war erfolgreich, dem nuklearen Urknall und dem Anbruch eines neuen, düsteren Zeitalters ein würdiges Denkmal zu setzen und zu mahnen, dass es mit Gottes Hilfe hoffentlich nie zu einem dritten Einsatz von Kernwaffen kommen wird.

USA 2023 – 181 Minuten
Regie: Christopher Nolan
Genre: Historiendrama / Thriller
Darsteller: Cillian Murphy, Emily Blunt, Matt Damon, Robert Downey Jr., Florence Pugh, Benny Safdie, Rami Malek, Dane DeHaan, Josh Hartnett, Dylan Arnold, Alden Ehrenreich, Kenneth Branagh, Jason Clarke, James D’Arcy, Emma Dumont, Matthias Schweighöfer, Gustaf Skarsgård, Gary Oldman, Casey Affleck
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